Der minütliche Kick – das Smartphone kann abhängig machen

Eine DAK-Studie zeigt es: Die Anzahl der Menschen mit süchtigem Verhalten am Smartphone oder Tablet nimmt stetig zu. Wirkt das Smartphone wie eine Droge? Und wer braucht eine Therapie?

Mediensucht, Handysucht, Onlinesucht, das alles sind Begriffe, die dasselbe bedeuten: es gibt Menschen, die so viel Zeit am Smartphone verbringen, dass sie ihr sonstiges Leben vernachlässigen. Oft kommt es dadurch zu massiven Problemen im beruflichen und im sozialen Umfeld. Werden weitere Kriterien für abhängiges Verhalten erfüllt, wie etwa „Craving“ (starkes Verlangen) oder „Kontrollverlust“ und gelingt es den Betroffen nicht, selbst ihre Mediennutzung zu vermindern, kann eine Therapie sinnvoll sein.

Wir fragen unsere Kolleg*innen in der   Fachklinik für Rehabilitation , Anne Borchert, Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung (i.A.), und Max Klein, Sozialpädagoge und Suchttherapeut, nach den Besonderheiten in der Rehabilitation und Therapie von Menschen mit Mediensucht.

„Von Medien wie Smartphone, Tablet oder Computer kann man genauso abhängig werden wie von Alkohol oder Drogen", erklärt Anne Borchert. 

„Der süchtige Konsum - sei es am Smartphone oder aus der Flasche - bedeutet immer, dass man sich einer Illusion hingibt. Es ist eine Art von Selbstbetrug. Der Konsument erhält dabei eine positive Rückmeldung von seinem Körper, die Illusion eines guten Gefühls oder eines Erfolgserlebnisses. Dieses aktiviert unser Belohnungssystem im Gehirn. Unser Gehirn liebt Belohnungen und möchte immer mehr davon haben. Geben wir dem immer weiter nach, entsteht das so genannte ‚Suchtgedächtnis‘. 

Bei den sozialen Medien haben wir mit dem Smartphone die Möglichkeit, uns ständig eine Belohnung zu verschaffen: durch jedes Ping und durch jeden ‚Like‘.

Der Effekt auf unser Gehirn ist ganz ähnlich wie bei dem Konsum von Drogen, aber er kommt minütlich und ist jederzeit verfügbar. In der Therapie stellen wir diese Illusion einem Realitätscheck gegenüber: ‚Ist denn tatsächlich etwas Positives passiert oder habe ich etwas Positives geleistet?‘“, so die Expertin.

„Ein weiteres Anzeichen für Abhängigkeit ist der Kontrollverlust über die eigenen Handlungen. Das bedeutet, dass die Betroffenen sich zwar vornehmen, das Smartphone wegzulegen oder weniger zu verwenden, es aber es nicht schaffen. 

Meist nimmt die Zeit, die mit den Medien verbracht wird, immer weiter zu. Das nennt man ‚Toleranz-Entwicklung‘ und ist ebenfalls ein Kriterium für Abhängigkeit. Da unterscheidet sich das Smartphone als Suchtmittel ebenfalls nicht von anderen Suchtmittel“, ergänzt Max Klein, Sozialpädagoge und Suchttherapeut, der Fachklinik.

„Auch in der Klinik sehen wir ständig ansteigende Fallzahlen von Betroffenen mit Mediensucht, meist sind es junge Erwachsene. Aber da viele gar nicht in die Therapie finden, ist dies nur die Spitze einer Welle an Betroffenen, die auf uns zu rollt“, so der Suchttherapeut.

Und wer braucht eine Therapie und wie kommt man zu einem Therapieplatz? „Bei diesem Thema spielen die Hausärzte und Beratungsstellen eine herausragende Rolle. Sie können den Betroffenen empfehlen, eine Therapie zu beginnen. Zunächst findet eine ambulante Beratung statt und eventuell eine ambulante Reha-Maßnahme. 

Erst wenn das nicht ausreicht, kann eine stationäre Rehabilitation beantragt werden. Gerade wenn die Betroffenen etwa schon länger arbeitsunfähig geschrieben sind oder wenn ihre Arbeitsfähigkeit gefährdet ist und sie wegen ihrer Mediennutzung sich selbst oder ihre Wohnung vernachlässigen, kann eine stationäre Reha sinnvoll sein“, rät Max Klein.

“Das Ziel der Therapie bei Medienabhängigkeit ist jedoch anders als etwa bei Alkoholsucht nicht die vollständige Abstinenz. Denn dies ist in unserer digitalen Welt einfach nicht machbar. An fast jedem Arbeitsplatz wird heute auch mit PC, Tablet und Smartphone gearbeitet. Vielmehr geht es bei der Rehabilitation darum, zu einem angemessenen Umgang mit Medien zurückzufinden. 

Das ist für die Betroffenen nicht einfach, denn überall sehen wir Menschen mit ihrem Smartphone sichtbar in der Hand. Diese Auslösereize aktivieren Verlangen und das birgt Risiken. Genauso wie bei einem abstinenten alkoholkranken Menschen der Anblick einer Flasche des Lieblingsgetränks zum Scheitern der eigenen Vorsätze führen kann“, berichtet Anne Borchert aus dem Praxisalltag.

„Daher sind viele Therapieschritte bei Mediensucht ganz ähnlich wie bei anderen Suchtmitteln. So muss der Umgang mit Auslösereizen gelernt und trainiert werden. Wir informieren darüber, wie das Suchtgedächtnis entsteht und wie es sich auswirkt. Nicht umsonst heißt es angelehnt an den Entzug von stoffgebundenen Suchtmitteln, auch 'Digital Detox'."

Wie können Angehörige mit den Betroffenen umgehen?

„Die Angehörigen sollten das Thema und den Medienkonsum offen ansprechen. Sie können die Betroffenen ermuntern, eine Therapie zu beginnen, aber sie sollten sie nicht mit Samthandschuhen anfassen oder vor den Folgen ihres süchtigen Verhaltens schützen", erklärt Max Klein.

"Ganz wichtig ist es für die Angehörigen zu wissen, dass sie keine Schuld an dem Verhalten der Betroffenen tragen“, so die Erfahrung des Suchttherapeuten. 

„Vielmehr brauchen Angehörige eher selbst Unterstützung und sie sollten auf sich selbst gut achtgeben. Auch Angehörige können sich bei Suchtberatungsstellen beraten lassen. Hierfür gibt es sogar spezielle Fachstellen für Medienabhängigkeit wie etwa an unserem DIAKO Suchthilfezentrum in Schleswig. 

Angehörige sind von Suchterkrankungen jeder Art immer mit betroffen. Sie brauchen jedoch die Verantwortung für die Suchterkrankung nicht zu tragen. Die Beratung der Angehörigen ist daher sehr wichtig. Wir bieten in der Rehabilitation immer auch Angehörigengespräche an und es gibt Angehörigengruppen die regelmäßig stattfinden und bei denen viele Fragen gestellt werden können. So etwa zum Umgang mit den Betroffenen zu Hause nach der Rehabilitation. Was sie etwa tun können, wenn die Smartphone-Zeiten doch wieder länger werden. Wir empfehlen Angehörigen auch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen für Angehörige.“


Bildunterschrift: „Von Medien wie Smartphone, Tablet oder Computer kann man genauso abhängig werden wie von Alkohol oder Drogen", Anne Borchert und Max Klein, DIAKO Fachklinik für Rehabilitation, erklären die Besonderheiten in der Rehabilitation und Therapie von Menschen mit Mediensucht. (Fotomontage: Bauer, Canva)
 

Empfohlene Selbsttests und Apps:

https://www.diako-nf.de/unsere-angebote/suchthilfezentrum-schleswig/selbsttests-und-apps


Unsere Angebote:

Fachklinik für Rehabilitation:

https://www.diako-nf.de/unsere-angebote/fachklinik-fuer-rehabilitation/computer-und-internet

Fachstelle für Medienabhängigkeit am Suchthilfezentrum Schleswig:

https://www.diako-nf.de/unsere-angebote/suchthilfezentrum-schleswig/fachstelle-gluecksspielsucht-1


Mehr Infos, Links und Referenzen:

DAK-Studie: https://www.dak.de/presse/bundesthemen/kinder-jugendgesundheit/dak-studie-in-pandemie-hat-sich-mediensucht-verdoppelt_48672

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/o/online-sucht

https://www.aerzteblatt.de/archiv/230604/Medienabhaengigkeit-Die-Bildschirmsucht-nimmt-zu

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/83482/Uebermaessiger-Medienkonsum-bei-Jugendlichen-macht-Medizinern-Sorgen

 

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